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Marcel Reich-Ranicki: populäre Literaturkritik?
Marcel Reich-Ranicki : une critique littéraire populaire ?
Marcel Reich-Ranicki: popular literary criticism?
Veröffentlicht am mardi, 07. août 2018
Zusammenfassung
Als telegener Kritiker und Journalist, der sein Leben der Literaturvermittlung widmete, verkörpert Reich-Ranicki eine Literaturkritik, die man (in den unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes) als „populär“ bezeichnen kann. Diese Form der Kritik, aber auch Reich-Ranickis Literaturgeschichtsschreibung und Literaturvermittlung sind Gegenstand der geplanten Ausgabe (Nr 65 - 2019) von Germanica. Für welchen literarischen Kanon tritt er ein? In welcher Tradition steht seine Vorstellung von Literatur als Zufluchtsort, Therapie oder Lebenshilfe, die er unter Verweis auf seine Erfahrung im Warschauer Ghetto verteidigt – und inwiefern beeinflusst dieser Literaturbegriff die Praxis dieses unfreiwilligen Autodidakten?
Inserat
Germanica n° 65/2019
LeiterIn
- Stephanie Baumann
- Bénédicte Terrisse
Präsentation
- „Pop ?
- Alles was populär ist. Alles was populär und so gut ist wie die Eroica von Beethoven – zum Beispiel.
Ich sah, dass er überlegte, ob die Beschreibung auch auf ihn passte, und er sah, dass ich es sah, und das sah ich natürlich, und er sah, dass ich es sah.”
So beschreibt Maxim Biller ein Gespräch, das er 1984 mit Marcel Reich-Ranicki in der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung führte, wo er ihm ein Interview mit der Zeitschrift Elaste vorschlug, die Reich-Ranicki vollkommen unbekannt war. Biller hatte erklärt, die Redaktion sei gerade erst gegründet worden, keiner von ihnen über 25 und dass es in dem Magazin um „Mode, Sex und Pop“ gehe.
Wie kein zweiter hat Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) als Mitglied der Gruppe 47, als Mitarbeiter großer Zeitungen, im Rundfunk, im Fernsehen, als Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen (1973-1988), im Literarischen Kaffeehaus (1964-1967) und im Literarischen Quartett (1988-2001) das Bild des Literaturkritikers in der Bundesrepublik geprägt. Spätestens nach der stark mediatisierten Auseinandersetzung mit Günter Grass über dessen Roman Ein weites Feld (1995) avancierte er zum bekanntesten deutschen Kritiker. In einem Gespräch mit Joachim Kaiser betont Reich-Ranicki, dass die Literaturkritik ursprünglich eine Begleiterscheinung der Presse sei: „Sie ist eine Mischung aus Journalistik und Wissenschaft.“ Oft wurden ihm seitens dieser Wissenschaft, aber auch von Schriftstellern triviale Beurteilungsmaßstäbe vorgeworfen, sein ebenso richterliches wie subjektives Urteil, „gutes“ oder „schlechtes“ Buch. Reich-Ranickis Kritik sei „antiintellektuell, sentimental, naiv inhaltlich gepolt, bekenntnisfreudig, urteils- und verurteilungsbereit, einem festen und schlichten Schema unerschütterlich treu verpflichtet“. Ist jedoch nicht vielmehr zu fragen, worin die Wirkung seiner Kritiken begründet liegt, kontrastiert die Reserviertheit mancher Literaturwissenschaftler doch mit der offensichtlichen Breitenwirksamkeit seines Schaffens?
Mit dem Literarischen Quartett ist es Reich-Ranicki gelungen, ein Publikum zu erreichen, das über die klassischen Feuilletonleser und Literaturliebhaber weit hinausgeht; er beeinflusste das Leseverhalten der Zuschauer, wie sich an den Verkaufszahlen der im Quartett besprochenen Bücher ablesen lässt. Als telegener Kritiker und Journalist, der sein Leben der Literaturvermittlung widmete, verkörpert Reich-Ranicki eine Literaturkritik, die man (in den unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes) als „populär“ bezeichnen kann. Diese Form der Kritik, aber auch Reich-Ranickis Literaturgeschichtsschreibung und Literaturvermittlung sind Gegenstand der geplanten Ausgabe von Germanica. Ist die literaturkritische Praxis von Reich-Ranicki mit den Mechanismen von „Personalisierung“ und „Emotionalisierung“ tatsächlich erschöpfend beschrieben? Für welchen literarischen Kanon tritt er ein?8 In welcher Tradition steht seine Vorstellung von Literatur als Zufluchtsort, Therapie oder Lebenshilfe, die er unter Verweis auf seine Erfahrung im Warschauer Ghetto verteidigt – und inwiefern beeinflusst dieser Literaturbegriff die Praxis dieses unfreiwilligen Autodidakten?
Neben einer möglichst genauen Beschreibung jener Mittel, dank derer es ihm gelang, Bücher und Leser zusammen zu bringen, soll untersucht werden, worin Marcel Reich-Ranickis Beitrag zur Herausbildung einer literarischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik und im Deutschland der Nachwendezeit besteht.
Beiträge zu folgenden (und anderen) Themen sind erwünscht:
- Analyse der schriftlichen Literaturkritik von Marcel Reich-Ranicki: rhetorische Mittel, Polemik und Gefühle, Stil, Wirksamkeit
- Analyse der Fernsehkritik: über den Einsatz von Körpersprache, Mimik und Gestik. Über den Zusammenhang von Inhalt und Temperament des Kritikers. Lässt sich ein bestimmtes Ethos des Kritikers beschreiben? Wirkung und Aneignung medialer Zwänge auf und durch die Kritik.
- Analyse des Werdegangs, Reich-Ranickis Position im literarischen Feld bzw. in der bundesdeutschen Presselandschaft. Betrachtung des Kritikers aus dem Blickwinkel der Intellektuellensoziologie.
- Marcel Reich-Ranicki als Initiator der Frankfurter Anthologie. Marcel Reich-Ranicki und die Dichtung.
- Marcel Reich-Ranicki im Interview. Marcel Reich-Ranicki und das Genre des Interviews.
- Zum Kanon: Marcel Reich-Ranicki und nicht-zeitgenössische Literatur. Marcel Reich-Ranicki als Pädagoge und Literaturvermittler. Marcel Reich-Ranicki und die Weltliteratur.
- Analyse des Literaturbegriffs und Reich-Ranickis Beurteilungskriterien. Reich-Ranickis Verhältnis zum Biographischen, zum „Autor“, zur „Unterhaltung“.
- Zur Rezeption von Reich-Ranickis Literaturkritik. Geschichte und Formen der Kritik an Reich-Ranickis Kritik (Peter Handke, Martin Walser, Franz Josef Czernin…). Reich-Ranicki und die Schriftsteller, Reich-Ranicki und die Literaturwissenschaft.
- Zum Verhältnis von Literaturkritik und Gesellschaft: über das Erbe der Gruppe 47, über Stellungnahmen von Marcel Reich-Ranicki in verschiedenen Debatten seiner Zeit, über seine
Haltung zur DDR-Literatur. Gibt es einen politischen Reich-Ranicki? Zu den Beziehungen zwischen Literaturkritik und der bundesdeutschen Demokratie.
Einreichung
Vorschläge zu Beiträgen in deutscher oder französischer Sprache (15 Zeilen) sollten
bis zum 30. September 2018
an Stephanie Baumann und Bénédicte Terrisse geschickt werden:
(stephanie.baumann@univ-valenciennes.fr/ benedicte.terrisse@univ-nantes.fr).
Die Ausgabe von Germanica erscheint im Dezember 2019 und die Manuskripte (35 000 - 40 000 Zeichen) sollten der Redaktion spätestens bis zum 1. Juni 2019 zukommen.
Eine ausführliche Bibliographie findet sich auf der Seite der Arbeitsstelle Marcel Reich-Ranicki für Literaturkritik in Deutschland.
http://m-reich-ranicki.de/index.php?content=http://m-reich ranicki.de/content_themen_literaturkritik_arbeitsstelle.htm
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Daten
- dimanche, 30. septembre 2018
Anhänge
Schlüsselwörter
- Allemagne, littérature germanique, littérature étrangère, critique, télévision, espace public, canon, champ littéraire, histoire littéraire
Kontakt
- Bénédicte Terrisse
courriel : benedicte [dot] terrisse [at] univ-nantes [dot] fr - Stephanie Baumann
courriel : stephanie [dot] baumann [at] uphv [dot] fr
Verweis-URLs
Informationsquelle
- Bénédicte Terrisse
courriel : benedicte [dot] terrisse [at] univ-nantes [dot] fr
Zitierhinweise
« Marcel Reich-Ranicki: populäre Literaturkritik? », Beitragsaufruf, Calenda, Veröffentlicht am mardi, 07. août 2018, https://calenda-formation.labocleo.org/464523