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Das Leben im Menschen oder der Mensch im Leben?

La vie dans l’homme ou l’homme dans la vie ?

Life in man and man in life?

Deutsch-Französische Genealogien zwischen Anthropologie und Anti-Humanismus

Généalogies franco-allemandes entre anthropologie et anti-humanisme

Franco-German genealogies between anthropology and anti-humanism

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Veröffentlicht am lundi, 24. mars 2014

Zusammenfassung

Im Zentrum der Sommerschule steht der Versuch, die französischen und die deutschen „Philosophien des Lebens“ im 20. Jahrhundert zu vergleichen und in ein Gespräch miteinander zu versetzen. Diese Diskussion der Dialektik zwischen dem Lebensbegriff und dem Problem des Menschen berührt die für die Moderne wesentliche Spannung zwischen einem „anthropologisch“ gefärbten Nachdenken über das Leben (in Deutschland) und einer „anti-humanistischen“ Kritik (in Frankreich).

Inserat

Unser Sommerschulprojekt möchte junge ForscherInnen von beiden Seiten des Rheins einladen, um gemeinsam ein eigentümliches Gefälle zwischen den Feldern der französischen und der deutschen Philosophie der Moderne zu beleuchten: Überblickt man die Diskussionszusammenhänge innerhalb der deutschen Philosophie des 20. Jahrhunderts, so fällt auf, dass sich, wenngleich historisch im doppelten Schatten von Heideggers Fundamentalontologie sowie der Kritischen Theorie Adornos und Horkheimers stehend, eine Tradition der Philosophischen Anthropologie (Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen) formiert hat, die eine neuartige Reflexion auf die spezifische Differenz des Menschen leistet: Gegenüber den rationalistischen und idealistischen Visionen von der Prävalenz des Menschen vor den „vernunftlosen“ Lebewesen fragt die Philosophische Anthropologie indirekt und immanent nach dem besonderen Ort des Menschen im Leben. Charakteristisch für diese Theorietradition war und ist es also, die Zugehörigkeit des Menschen zur Ordnung des organischen Lebens anzuerkennen, gleichzeitig aber phänomenologisch die Ausdrucksformen und Verhaltensstrukturen zu beschreiben, deren Herausbildung einzig an jener Stelle möglich ist, an der der Mensch im Leben steht. Diese Akzentuierung des Differenzpunktes zwischen menschlicher (bzw. menschenmöglicher) und subhumaner Lebendigkeit ist es, die systematisch einen anthropologischen Zugang zur Dialektik von „Leben“ und „Mensch“ erfordert.

Es ist frappierend, dass sich einige prominente Positionen innerhalb des modernen philosophischen Diskurses in Frankreich wie eine Umkehrung dieses anthropologischen Einsatzes lesen lassen – und dies, obwohl es keine explizite Rezeption der zu diesem Thema programmatischen philosophisch-anthropologischen Thesen gegeben hat. So ist beispielsweise in Michel Foucaults epistemologischer Archäologie, in der vitalistischen Ontologie des immanenten Lebens bei Gilles Deleuze, in der von Georges Canguilhem ausgearbeiteten Historischen Epistemologie der Biowissenschaften, aber auch in den strukturalistischen Vorstößen zu einer Neufassung des Marxismus (Louis Althusser), der Ethnologie (Claude Lévi-Strauss) und der Psychoanalyse (Jacques Lacan) ein polemischer Zug erkennbar, der teils von den Autoren selbst, vor allem aber in der Forschungsliteratur als „anti-humanistisch“ apostrophiert worden ist. All diese Theorieansätze revozieren, wenngleich aus verschiedenen Perspektiven, die Hypothese, dass die Stellung des Menschen im Leben eine Position ist, an der sich die wissenschaftliche, historische oder philosophische Reflexion auszurichten hätte. Im Gegenteil: In gewisser Weise stellen diese französischen Traditionslinien, um die Titelformel unserer Veranstaltung zu bemühen, auf das Leben im Menschen ab, d.h. auf ein Geschehen, das die menschlichen Subjekte ebenso einschließt wie übersteigt. An den Platz einer anthropologischen Orientierung treten dann andere Auffassungen der Rolle von Philosophie – je nachdem, was die einzelnen Autoren unter jener Totalität, die den Menschen impliziert, verstehen.

Das Ziel unserer Sommerschule besteht folglich darin, die Antworten, die im vergangenen Jahrhundert von französischer wie von deutscher Seite auf die Frage nach dem (möglichen) spezifischen Standort des „Menschen“ im „Leben“ vorgetragen worden sind, miteinander zu konfrontieren: Ist der Mensch eine Figur, die (im Leben und für das Leben) „einen Unterschied macht“ (z.B. Scheler, Plessner, Gehlen, auch Blumenberg), so dass sich die philosophische Analyse auf die Sichtweise konzentrieren müsste, in der dem Menschen das Leben erscheint? Oder ist eher ein Standpunkt angemessen, der eine solche Perspektive als anthropomorphe Illusion verwirft und sich stattdessen einer Wissenschaft jener Strukturen verschreibt, die den illusorischen Effekt, es ginge um die Problematik des „Menschen“, allererst ermöglicht haben (z.B. Foucault, Althusser, Derrida, Deleuze, Canguilhem)?

Während der Traditionsstrang der Philosophischen Anthropologie innerhalb der modernen deutschen Philosophie seine Blütezeit in den 1920er Jahren hatte, war die „anti-humanistische“ Strategie in den französischen Diskussionen vor allem in den 1960er und -70er Jahren bestimmend, allerdings (fast) ohne historischen Rückbezug auf die deutschen Debatten, an deren Themen sie gleichwohl implizit anknüpfte. Unsere Sommerschule möchte den Versuch wagen, diese beiden Denkhaltungen zu vergleichen und in einen Dialog zu bringen.

Die Sommerschule schreibt sich in eine Phase der verstärkten französischen Rezeption der Philosophischen Anthropologie ein, die momentan vielfältige Übersetzungsprojekte, Konferenzthemen und Publikationen inspiriert. Auf diesem Hintergrund möchten wir Nachwuchswissenschaftler (StudentInnen auf Masterniveau, DoktorandInnen) beider Länder,  herzlich einladen, eigene Forschungsprojekte vorzustellen und/oder Respondenzen zu den Plenarvorträgen zu übernehmen. Näheres zu den Voraussetzungen unter Punkt 3 (ABLAUF).

Nota bene: Wir weisen explizit darauf hin, dass auch die Präsentation von Forschungsvorhaben erwünscht ist, die entweder auf Themen der Philosophischen Anthropologie oder auf das Feld der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts Bezug nehmen.

2. Inhalt

Jeder der fünf Veranstaltungstage der Sommerschule steht unter einem eigenen Leitthema.

2. 1. Die „Einsätze“: Das Leben im Menschen oder der Mensch im Leben? (Tag 1, 21.07.)

Dieser Tag schält den thematischen Kern der Veranstaltung heraus: Es geht um die systematische Opposition zwischen der für die philosophische Moderne in Deutschland markanten anthropologischen Reflexionsgeste und dem für das französische Denken programmatischen Bruch mit (bzw. der Dekonstruktion) der Anthropologie.    

Mit Plenarvorträgen von Hans-Peter Krüger (Potsdam) und Christian Sommer (Paris).

2. 2.  Kreuzpunkte der Lektüre: Aus der Werkstatt der Übersetzungen und Editionen (Tag 2, 22.07.)

Dieser Tag steht ganz im Zeichen von aktuellen Entwicklungen auf den Feldern der deutsch-französischen Übersetzungs- und Editionsprojekte, die für den von uns beabsichtigten Traditionenvergleich relevant sind. Im Ausgang von konkreten editorischen und rezeptionsgeschichtlichen Situationen werden die damit verbundenen Textprobleme vorgeführt.

Mit Plenarvorträgen von Olivier Agard (Paris), Wolfhart Henckmann (München) sowie einer Präsentation des Georges-Arthur-Goldschmidt-Programms für junge LiteraturübersetzerInnen durch Niki Théron (Frankfurt am Main) und Christophe Lucchese (Paris).

2. 3. Zwischen Technik und Sprache: Zur Rolle der Phänomenologie in der französischen und deutschen Philosophie des 20. Jahrhunderts (Tag 3, 23.07.)

Auf der Agenda steht hier das phänomenologische Erbe, das die philosophische Situation in Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert eminent geprägt haben. Gemeinsame Quellen bzw. vermittelnde Figuren zwischen beiden Traditionen (Bergson, Sartre, Merleau-Ponty) werden ebenso diskutiert wie philosophische Ansätze, die im Lichte der französischen und der deutschen Entwicklungen gleichermaßen relevant sind (z.B. Hans Blumenbergs Neusituierung der Philosophischen Anthropologie innerhalb des phänomenologischen Projekts).

Mit Plenarvorträgen von Annette Hilt (Mainz) und Jean-Claude Monod (Paris, angefragt).

2. 4. Die Rezeption biologischer Diskurse in den Philosophien des Lebendigen in Frankreich und in Deutschland (Tag 4, 24.07.)

Bekanntlich haben sich sowohl die Philosophischen Anthropologie als auch die (uns hier interessierenden) modernen philosophischen Strömungen in Frankreich sehr intensiv mit den für sie zeitgenössischen biologischen Diskursen (z.B. Haeckel, Bolk, Alsberg, Klaatsch, Uexküll) über den Menschen auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen deshalb die philosophischen Verarbeitungen und Interpretationen, die diese lebenswissenschaftlichen Forschungsstände in Frankreich und in Deutschland gefunden haben. Zentral ist aber auch die Frage: Wie lassen sich diese Kritiken der Erfahrungswissenschaften für die Gegenwart aktualisieren?   

Mit Plenarvorträgen von Thomas Ebke (Potsdam/Paris) und Arnaud François (Toulouse).

2. 5. Theorien der Zivilisation zwischen Optimismus und Dekadenz (Tag 5, 25.07.)
Am letzten Tag der Summer School öffnet sich die Diskussion auf die Unterscheidung zwischen Kultur- und Zivilisationskritik: Inwiefern spielen die Differenzen zwischen diesen Konzepten, aber auch die Dialektiken von Natur und Kultur bzw. Natur und Zivilisation eine Rolle für die geschichtsphilosophischen Dekadenz- und Fortschrittstheorien in Frankreich (z.B. Rousseau) und in Deutschland (hier insbesondere Herder)?

Mit Plenarvorträgen von Etienne Bimbenet (Lyon) und Barbara Beßlich (Heidelberg)

3. Ablauf (incl. ECTS-Anrechnung)

Insgesamt ist die Summer School für ca. 27 Nachwuchsforscher konzipiert, wobei der Anteil der deutschen und französischen Teilnehmer ungefähr ausgeglichen sein sollte. Teilnehmer anderer Nationalitäten sind ebenfalls willkommen. Die Teilnehmer können eigene Forschungsarbeiten (Promotionen, Masterarbeiten) präsentieren. Wichtig: Auch Projekte, in denen eine der beiden Traditionen, auf die sich die Sommerschule konzentriert, eine zentrale Rolle spielt, sind willkommen. Da die gemeinsame Diskussion zwischen den beiden Denkentwicklungen erst während der Sommerschule erarbeitet werden soll, wird nicht erwartet, dass die vorgestellten Dissertationen, Masterarbeiten etc. bereits vom Verhältnis der beiden Strömungen handeln. Wichtig für die Bewerbung ist aber die Orientierung an den unter Punkt 2 definierten Themen und Linien. Die Beiträge werden in Workshops à 120 Minuten aufgeteilt, wobei jeder Workshop 3 Präsentationen umfassen soll. Daraus ergeben sich 40 Minuten pro Präsentation, dabei maximal 20 Minuten Vortrag, minimal 20 Minuten Diskussion.

Eine andere Möglichkeit für Nachwuchsforscher, sich zu beteiligen, besteht in der Übernahme sogenannter „Synthesen“. Dabei handelt es sich um kurze (ca. 10 Minuten) Respondenzen zu Vorträgen, die während der Summer School von Professoren gehalten werden. Findet ein Vortrag auf Deutsch statt, hat die „Synthese“ auf Französisch zu erfolgen und umgekehrt. Die „Synthesen“ dienen der Vermittlung zwischen den Tagungssprachen Deutsch und Französisch und als kleine Kommentare zur Eröffnung der Diskussion im Plenum. 

Es ist für Teilnehmer möglich, auf der Summer School ECTS-Punkte zu erwerben.

  • 2 Punkte für die Präsentation und spätere Veröffentlichung (s.u.) einer „Synthese“ (s.o.)
  • 2 Punkte für die Erstellung und spätere Veröffentlichung (s.u.) eines Protokolls/Tagungsberichts zu einem der fünf Veranstaltungstage der Summer School
  •  2 Punkte für die Präsentation eines eigenen Forschungsprojekts im Plenum (inkl. späterer Einreichung des Manuskripts)
  • 2 zusätzliche Punkte für die Publikation eines Beitrags in dem Sonderheft, das die Resultate der Veranstaltung dokumentieren soll; Anmerkung: auch die verschriftlichten und ausgearbeiteten Protokolle/Zusammenfassungen werden publiziert   

TeilnehmerInnen, die nicht in Potsdam oder an der ENS Paris immatrikuliert sind, sind angehalten, sich bei ihrer  jeweiligen Universität über die Anrechenbarkeit der Leistungen, die sie im Rahmen der Sommerschule erbringen, zu informieren und diese Konvertibilität sicher zu stellen.

4. Bewerbung

Das Bewerbungsdossier sollte ca. 400 Worte lang sein. Wichtig: Jede/r BewerberIn soll sich einem der Themen (bzw. Tage) der Sommerschule zuordnen.
Bitte senden Sie Ihre Bewerbung an: caterina.zanfi@ens.fr oder thomas.ebke@gmx.net
Format der Dokumente: .doc oder .rtf.

Bewerbungsschluss ist der 09.05.2014

5. Praktische Organisation

Daten: Die Sommerschule findet statt vom 21. bis 25. Juli 2014 (Montag bis Freitag), an der École Normale Supérieure, 29, Rue d’Ulm, 75005 Paris [Salle Paul Langevin]

Kosten: Die Kosten für die Übernachtung werden voll übernommen, die Kosten für Verpflegung und Anreise werden bis zu einem Betrag von maximal 200€ übernommen. Teilnehmer werden gebeten, zunächst alternative Finanzierungsmöglichkeiten für die Reise, (z.B. durch die eigene Universität, ein Stipendium, einen DAAD-Antrag) zu prüfen. Eine Unterbringung in der Nähe des Tagungsorts (z.B. Zimmer im Studentenwohnheim) wird organisiert.

Publikation im Anschluss an die Veranstaltung: Eine zweisprachige Publikation der aus der Sommerschule hervorgehenden Beiträge ist geplant

Arbeitssprachen: Französisch und Deutsch, ggf. Englisch (in den Diskussionen) falls nötig. Alle werden in der Sprache ihrer Wahl vortragen können, sollten jedoch in der Lage sein, die andere(n) Sprache(n) zu verstehen. 

Weitere Informationen: caterina.zanfi@ens.fr oder thomas.ebke@gmx.net

Organisation:

  • Dr. Christian Sommer (Archives Husserl, UMR 8547; Pays Germanique CNRS/Ecole normale supérieure Paris)
  • Prof. Hans-Peter Krüger (Potsdam)
  • Dr. Caterina Zanfi (Paris)
  • Dr. Thomas Ebke (Potsdam/Paris)

Orte

  • 29, Rue d’Ulm, Paris
    Paris, Frankreich (75005)

Daten

  • vendredi, 09. mai 2014

Schlüsselwörter

  • philosophical anthropology, (critique of) humanism, (post-) structuralism, biology, philosophy of life, French philosophy, German philosophy

Kontakt

  • Caterina Zanfi
    courriel : caterina [dot] zanfi [at] ens [dot] fr
  • Thomas Ebke
    courriel : thomas [dot] ebke [at] gmx [dot] net

Informationsquelle

  • Thomas Ebke
    courriel : thomas [dot] ebke [at] gmx [dot] net

Zitierhinweise

« Das Leben im Menschen oder der Mensch im Leben? », Beitragsaufruf, Calenda, Veröffentlicht am lundi, 24. mars 2014, https://calenda-formation.labocleo.org/279254

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